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AutorenbildMichael Heger

Wider die Grauen Herren

kreisform kommunikation kommt in frischem Gewand daher. Wie Brechreiz, Bitcoin und Bunker in Albanien zu einem neuen Leitbild führten.

Der paranoide Diktator Enver Hoxha pflasterte ein ganzes Land mit Bunkern zu. (Bild: Gjirokastra, 2021)

Ständig rauchen sie Zigarren. Und zwar nicht irgendein Kraut. Sie rauchen getrocknete Stundenblumen, geraubt aus den Herzen der Menschen.


Die Grauen Herren in Michael Endes Roman "Momo" stehlen den Menschen ihre Lebenszeit. Und sie tragen schuld daran, dass ich letztes Jahr eine längere Auszeit nahm.


Ich hatte die Nase voll von den Grauen Herren. Genug davon, zuzusehen, wie künstliche Bedürfnisse und Probleme kreiert werden, um Menschen mit den ewig gleichen Floskeln Sachen zu verkaufen, die sie nicht brauchen.


War ich gar selbst ein Grauer Herr geworden? Ein Graus, der Gedanke mit ihnen auch nur zwei Minuten im Lift zu stehen. Das Frösteln in mir, wenn ich ihnen meinen "Elevator Pitch" erzählen musste.

Ich fühlte mich schuldig. Denn auch ich stahl den Menschen ihre Aufmerksamkeit und damit ein Stück Lebenszeit. War in einem Metier tätig, in dem der Zweck - ihre Kaufentscheidungen zu beeinflussen - die Mittel heiligt.


Die Sprache der Grauen Herren

So tröstete ich mich damit, Produkte und Dienstleistungen anzupreisen, die einen positiven Einfluss auf die Menschen und ihre Umwelt haben. Und bediente mich dazu dieser abgedroschenen, schleimigen Sprache der Grauen Herren. Einer Sprache voller Klischees, wolkiger Versprechungen und durchsichtiger "call-to-actions". Die Grauen Herren bombardieren die Menschen mit Heils-Botschaften, bis sie diese an der Angel haben. Als Köder dient ihnen ein "massgeschneidertes" Produkt oder eine Dienstleistung mit dem Versprechen, ihre individuellen emotionalen Bedürfnisse und Defizite zu befriedigen. Und dann beisst das Opfer zu. Nach dem Kauf dauert es meistens nicht lange, bis die innere Leere zurückkehrt. Diese Leere, die es zu füllen gilt, um das Leben im Hamsterrad weiter zu ertragen. Und dann beginnt der ganze Spass von vorne. Bis alle vor lauter Wachstum ersticken. Manchmal musste ich lachen - ob meiner eigenen sprachlichen Ergüsse. Meistens waren sie schwer zu ertragen. Fest stand: Die Zeit war gekommen, etwas zu ändern. Die Auszeit sollte Antworten bringen.

Die Goldene Regel

Mein erster Gedanke war, dem Marketing vollends den Rücken zu kehren. Der selbstbeweihräuchernde, suchmaschinen-optimierte und mittelmässige Einheitsbrei, der die Blogs, Newsletter, Social-Media-Profile von Firmen und Organisationen ziert, verursachte einen starken Brechreiz in mir. In den tiefen des Internets stiess ich auf einen Text von Rob Hardy mit dem Titel "Non-Coercive Marketing: A Primer". Hardy verpasst der Goldenen Regel, welche als Grundsatz praktischer Ethik dient und sich in vielen religiösen Schriften wiederfindet, ein Upgrade. Die Prämisse: Wir sollen andere Leute so bewerben, wie wir auch selbst gerne beworben werden möchten. Voraussetzungen sind Selbstachtung und Selbstliebe. Ziel ist es, das Gegenüber mit Würde und Respekt zu behandeln und ihm zu erlauben, ohne den Einsatz von Manipulation oder Zwang seine eigenen Entscheidungen zu treffen:

"Zwangloses Marketing ("Non-Coercive Marketing") gibt den Menschen ihre Autorität und das Vertrauen zurück. Es schafft die Voraussetzungen, selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können, in jenem individuellen Zeitrahmen, den man dazu benötigt. Es versucht nicht, Menschen zu überreden, sie zu manipulieren oder sie zu einer Entscheidung zu drängen, die bereits für sie getroffen wurde. Sie öffnet lediglich neue Türen, sagt die Wahrheit darüber, was sich hinter diesen Türen verbirgt, und lässt das Ergebnis offen - im Vertrauen, dass die richtigen Menschen eintreten, wenn sie dazu bereit sind. Zwangloses Marketing ist in dieser Hinsicht ein Vertrauensvorschuss. Sie beruht auf der Idee, dass man positive Beziehungen aufbauen kann, die zu organischen und für beide Seiten bereichernden Transaktionen führen. Dieser Beziehungswandel ist grundlegend dafür, wir wir die emotionalen Wunden heilen können, die den vielen Problemen der Menschheit zu Grunde liegen."


Ich teile Hardys Ansicht, dass in diesen Zeilen weit mehr liegt als der Schlüssel zu einer Art von Marketing, die Vertrauen schafft. Als Unternehmer:in trägt man eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Diese Verantwortung äussert sich nicht nur in den Produkten und Dienstleistungen, die man verkauft, sondern auch in der Art und Weise, wie man kommuniziert und mit seinen Mitmenschen und der Umwelt interagiert.

Eine Frage des Vertrauens

Die Polarisierung in Politik und Gesellschaft schreitet voran. Propaganda, Manipulation und Desinformation verdrängen im öffentlichen Diskurs ehrliche, argumentativ geführte Debatten. Wer am lautesten schreit, wird gehört. Und das alles vor dem Hintergrund einer von Unsicherheit und Ungewissheit geprägten Welt im Umbruch.

Die Folge? Das Vertrauen bröckelt - in Institutionen, Systeme und unsere Mitmenschen. Und das nicht von ungefähr. Viele Institutionen sind von Grauen Herren unterwandert. Systeme wurden von ihnen geprägt. Politische Reformen stossen an ihre Grenzen - seien sie geografischer, systemischer oder monetärer Natur.


Bleibt die Möglichkeit, auf dem Reissbrett neue Utopien zu entwerfen. Bitcoin und andere auf der Blockchain-Technologie beruhende Anwendungen sind als Werkzeuge für Wandel ein Versprechen für die Zukunft.

Gelingt es uns, mit mehr Transparenz, dezentralen Strukturen und offener Partizipation Wandel herbeizuführen und mehr Vertrauen zu schaffen? Oder wollen wir - wie die Grauen Herren - mit Repression, Bevormundung und Zwang auf Zerfallserscheinungen des Status Quo reagieren? Diese Fragen stellen sich nicht nur in Hinsicht auf unsere Institutionen und Systeme selbst sondern auch in Bezug auf die Kommunikation mit unseren Mitmenschen. Der Kreis schliesst sich.

Ein neues Leitbild

Die Ideen hinter dem zwanglosen Marketing möchte ich auf die gesamte Kommunikation der kreisform kommunikation ausweiten. Sie sollen in das Leitbild einfliessen. Nicht als Gut-Fühl-Rezept, um Nonsens ethischer verkaufen zu können, sondern um mit gutem Beispiel voranzugehen. Um ihnen zuwiderlaufende Verhaltensmuster und Strukturen zu "verlernen".


Und wenn so ein Leitbild auch nicht die Welt zu verändern mag, so prägt es doch das direkte Umfeld, die Beziehungen zu Geschäftspartner:innen und Kund:innen und nicht zuletzt mich selbst. Ich sehe in der zwanglosen Kommunikation weniger ein abgeschlossenes Regelwerk als einen organischen, imperfekten und keineswegs abgeschlossenen Werkzeugkasten an Ideen und Prinzipien. Sie können auf konkrete Projekte und Interaktionen angewendet, geprüft und weiterentwickelt werden:

  • Fokus auf "empowerte" Kund:innen (Qualität vor Quantität)

  • Rahmenbedingungen für Serendipität schaffen, anstatt Kontrolle ausüben

  • Autorität abgeben und Eigenverantwortung fördern

  • den Menschen in den Mittelpunkt stellen

  • Genügsamkeit vor Wachstum

  • Langfristige Beziehungen pflegen anstatt auf kurzsichtige Kennzahlen fixieren

  • Radikale Ehrlichkeit und Transparenz

  • Emotionalen Druck ab-, nicht aufbauen

  • Vertrauenslücken schliessen

Diesen Grundsätzen folgend, habe ich den Auftritt der kreisform kommunikation komplett überarbeitet. Dazu gehört auch die Aufschaltung und Verlinkung meiner - sich noch im Aufbau befindenden - privaten Webseite. Denn persönliche Texte wie der Erlebnisbericht meiner letztjährigen Reise durch Albanien oder der Artikel zu meinem Besuch bei einem Eingeborenenstamm in Zentralindien schaffen nicht nur die Rahmenbedingungen für Serendipität, Transparenz und Vertrauen, sie geben Einblicke in Lebenswelten, die den Grauen Herren die Haare zu Berge stehen lassen. Mit einer zwanglosen Kommunikation auf Augenhöhe können wir Vertrauen hegen und pflegen. Es macht uns handlungs-, beziehungs- und gesellschaftsfähig. Und es bildet das Fundament für Kooperation und Kreativität. Wider die Grauen Herren.

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